Jahresversammlung 2004

Mitgliedertreffen in Ermlitz, 3. bis 5. September 2004

Hieße es, den besonderen Charakter eines jeden Mitgliedertreffens zu benennen, so wäre beim diesjährigen von Sommerfrische die Rede, wie sie auch Weber 192 Jahre zuvor empfunden haben mag. Am 3. September 1812 hatte er sich von Leipzig aus in das ca. 20 km entfernte Ermlitz begeben, um auf dem Sommersitz der Familie Apel mit dem Leipziger Juristen und Literaten Dr. Johann August Apel (1771-1816) und dem Musikschriftsteller Friedrich Rochlitz (1769-1842), der dort gerade zu Gast weilte, zusammenzutreffen. Nachdem im Hause Apel laut Tagebuch „viel geschwazt und gespielt“ wurde, begleitete Weber Rochlitz am Nachmittag desselben Tages in das Sommerdomizil der Familie nach Connewitz (damals noch außerhalb von Leipzig gelegen), von wo aus er am folgenden Tag nach Leipzig zurückkehrte. Zu weiteren Begegnungen mit Apel kam es um den Jahreswechsel 1812/13, diesmal in dessen damaliger Leipziger Wohnung in direkter Nähe zum alten Gewandhaus, wo Weber in froher Freundesrunde das neue Jahr begrüßen konnte. Wenige Jahre später sollte die von Apel im Gespensterbuch veröffentlichte Freischütz-Erzählung Weber zu seiner erfolgreichsten Oper inspirieren.

Aber nicht allein dies war der Grund für ein Treffen der Weberfreunde in Ermlitz, sondern auch die Bemühungen unseres Mitglieds Gerd-Heinrich Apel (Ururenkel von Johann August Apel) um den Erhalt des kulturgeschichtlich und künstlerisch wertvollen Gutes seiner Vorfahren, eines zweigeschossigen barocken Herrenhauses mit einer wunderschönen Parkanlage, wo früher Persönlichkeiten wie Richard Wagner, Friedrich de la Motte Fouqué und Felix Mendelssohn Bartholdy verkehrten. Das inzwischen in das „Kultur-Gut Ermlitz e.V.“ eingebrachte Gutsensemble ist, auch wenn noch nicht fertiggestellt, wieder zu einer Stätte geistig-künstlerischer Begegnungen mit Konzerten und anderen geselligen Veranstaltungen geworden (s. a. Weberiana 10, S. 134-136; 11, S. 123f.; 12, S. 149f.).

Bereits am Abend des 3. September wurden die Mitglieder durch Herrn Apel mit einer Stadtführung durch Leipzig unter dem Motto „Auf den Spuren der Familien Rochlitz und Apel“ auf Webers Beziehungen zu diesem Raum eingestimmt. Die Tagebücher des Komponisten belegen ab 1810 neben zahlreichen Durchreisen für die Jahre 1811 bis 1820 sechs mehrtägige Aufenthalte in Leipzig, bei denen Rochlitz – von 1798 bis 1818 Redakteur der Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung – immer ein wichtiger Gesprächspartner Webers war. So wurden auf dem Alten Johannisfriedhof, der leider nur noch teilweise erhalten ist, u. a. die Gräber bzw. Grabdenkmäler von Rochlitz, Karl Theodor Küstner, dem Leipziger Theaterleiter, August Mahlmann, Textdichter von Webers Lied Die Schäferstunde, Rosalie Wagner, der Schwester Richard Wagners, und deren Mutter aufgesucht. Das Apelsche Familiengrab, einst auf der Fläche des heutigen Grassi-Museums gelegen, existiert leider nicht mehr.

Die anschließende Besichtigung des großen Saales im Alten Rathaus, von Herrn Apel eigens für die Gesellschaftsmitglieder organisiert, hinterließ einen nachhaltigen Eindruck. In der langen „Ahnengalerie“ der Leipziger Bürgermeister war auch ein Ölbild von Johann August Apels Vater Heinrich Friedrich Innozenz zu sehen. Danach führte der Weg zum ehemaligen Apelschen Haus am Markt 17, dem sogenannten Königshaus, in dem u. a. Peter I. von Russland, August der Starke von Sachsen, Friedrich II. von Preußen und Napoleon I. übernachteten. Den Abschluss des Abends bildete ein gemeinsames Essen im Restaurant „Apels Garten“, dessen Standort am Dorotheenplatz daran erinnert, dass sich hier vormals das weitläufige Terrain von Apels Barockgarten befand.

Der folgende Tag begann bei strahlendem Sonnenschein mit einer Führung durch das Kultur-Gut Ermlitz mit Besichtigung der Dorfkirche sowie des Gutsensembles mit Herrenhaus, Wirtschaftshof und Park. Der Anblick der restaurierten, mit einem sanierten Kirchturm versehenen Kirche machte deutlich, dass das Ermlitzer Kultur-Gut kein Fremdkörper im Dorf ist, sondern durch das Engagement des Fördervereins die Akzeptanz seiner Einwohner als allgemeiner Treffpunkt genießt. Herr Apel berichtete über die Geschichte des Herrenhauses sowie über bereits vollzogene Arbeiten, wie den Einbau einer neuen Heizung zur Raumklimatisierung, reparierte Dielen, einen neuen Anstrich der Fassade auf der Parkseite und neue Fensterläden. Geplant ist weiterhin die Restaurierung der überaus seltenen und wertvollen bemalten Leinwandtapeten, eine Grundsanierung des Parks und die Zusammenführung von ehemals zum Haus gehörigen Sammlungen, die u. a. Bücher, Handschriften, Gemälde und Möbel umfassen. Im schönsten Raum des Hauses, dem sogenannten Weißen Saal, in dem inzwischen auch wieder der Brodmann-Flügel, auf dem Weber in Ermlitz spielte, steht, fand dann um 11 Uhr die Mitgliederversammlung statt.

In der Mittagspause gab es die Möglichkeit, sich über die am Musikwissenschaftlichen Seminar Detmold innerhalb des Projekts „Digitale Musikedition“ entwickelte Edirom-Version zur Darstellung von Kritischen Berichten in Gesamtausgaben zu informieren. Dr. Joachim Veit stellte diese in Verbindung mit einem Kammermusikband der Weber-Gesamtausgabe entstandene Version vor, die für die Zukunft Erleichterungen bei der Benutzung von Quelleneditionen bieten könnte.

Auch eine von Herrn Apel vorbereitete kleine Foyer-Ausstellung zu Johann August Apel und dessen Sohn Theodor, dem Freund Wagners, konnte besichtigt werden, u. a. mit Weber-Eintragungen in August Apels Tagebuch und Briefen von Rochlitz.

Das schöne Sommerwetter gestattete es Frank Ziegler – tatkräftig unterstützt durch die Ermlitzer Gastgeber, – seinen nachmittäglichen öffentlichen Vortrag „Die Webers in Lauchstädt und Halle“ in den Park zu verlegen. Im Mittelpunkt seiner Betrachtungen standen die Theateraktivitäten der Familie Weber, besonders die Mitgliedschaft Genovefa von Webers 1794 in der Weimarischen Hoftheater-Gesellschaft, sowie Carl Maria von Webers Besuch der Stadt Halle auf seiner Reise nach Kopenhagen im Jahre 1820. Das Weimarer Hoftheater spielte alljährlich während der Badesaison in Lauchstädt. Zu Genovefa von Webers dortigem Wirken brachte Frank Ziegler neben anschaulichen Schilderungen des Lokalkolorits viele neue Details. Ob der siebenjährige Carl Maria damals auch in Lauchstädt weilte, konnte bisher nicht geklärt werden.

Das anschließende musikalisch-literarische Programm „Mein vielgeliebter Muks – Briefe Carl Maria von Webers an Caroline Brandt“ fand wiederum im Weißen Saal statt. Die Dresdner Schauspielerin Josephine Hoppe, am Flügel begleitet von Dirk Ebersbach, las aus Briefen Webers vom Jahre 1817. Aus diesem Jahr hat sich eine besonders reiche Korrespondenz erhalten: die Briefe der Verlobungszeit mit Caroline Brandt bis zur Heirat am 4. November 1817 in Prag. Ausführlich berichtet Weber über seine neue Kapellmeister-Tätigkeit in Dresden und oft in humorvoll-witziger Weise über seine Vorbereitungen auf den kommenden Ehestand. Leider sind Caroline Brandts Gegenbriefe nicht erhalten. Die amüsante ansprechende Darbietung wurde ergänzt durch passende Musikeinlagen bzw. -unterlegungen. Dirk Ebersbach spielte u. a. aus Webers Douze Allemandes für Klavier op. 4 aus dem Jahre 1801 sowie die im Sommer 1817 ebenfalls für Klavier komponierten Variationen über ein Zigeunerlied op. 55. Eine rundum beglückende Veranstaltung, der durch den Veranstaltungsort eine besondere Intimität verliehen wurde.

Zum Tagesausklang fand das traditionelle Beisammensein der Mitglieder mit einem vom Gastgeber organisierten Buffet statt, das – einmalig in der Reihe bisheriger Tagungen – bis in die späten Abendstunden draußen auf der Terrasse im Fackelschein mit Blick auf die Gartenfassade des Herrenhauses und den Park mit seinem schönen alten Baumbestand stattfinden konnte.

Am Sonntag, dem 5. September, standen eine Führung durch Bad Lauchstädt und der Besuch einer Theateraufführung auf dem Programm. Besichtigt wurden die historischen Kuranlagen, die seit 1775, als der Dresdner kurfürstliche Hof seine Sommerresidenz mehrfach nach Lauchstädt verlegte, durch Johann Wilhelm Chryselius eine bedeutende Umgestaltung erfahren hatten. Dazu gehörten u. a. die Anfang des 18. Jahrhunderts als Heilquelle entdeckte, später eingefasste Brunnenquelle, die Kolonnaden, das Kurhaus mit dem großen Kursaal, der mit einem Kurhut gekrönte Herzogspavillon mit Spielsaal sowie die beiden den Brunnen umrahmenden Pavillons, in denen sich eine theatergeschichtliche Ausstellung sowie eine zur Geschichte des Bades befindet. Höhepunkt war das 1802 eröffnete Theater, das in den Sommermonaten bis 1814 unter Goethes Leitung durch die Weimarer Hoftheater-Gesellschaft bespielt wurde und die Attraktivität des Badeortes steigerte. (Webers Mutter war 1794 im Vorgängertheater, einem wesentlich kleineren primitiven Fachwerkbau aufgetreten.) Das bei seiner Errichtung maßgeblich von Goethes Vorstellungen beeinflusste Theater ist auch nach der letzten Restaurierung 1966/68 mit seiner zeltartig gespannten und bemalten Leinwanddecke und dem aufsteigenden Zuschauerraum weitgehend unverändert geblieben. Auf der Unterbühne konnte die bis heute im wesentlichen nach gleichen Prinzipien funktionierende Bühnentechnik besichtigt werden, mit der in kürzester Zeit Bühnenwechsel ausgeführt wurden. Hier besuchten die „Weberianer“ am Nachmittag auch eine Vorstellung der Mozartschen Entführung aus dem Serail, eine Gemeinschaftsproduktion des Opernhauses Halle und des Goethe-Theaters Bad Lauchstädt – besonders reizvoll durch die Tatsache, dass hier in Lauchstädt Webers Mutter und Schwester die Partie der Constanze gesungen haben und man außerdem Vergleiche zur vorjährigen Aufführung des Werkes in Stuttgart ziehen konnte. Mit diesen Eindrücken klang das diesjährige Mitgliedertreffen aus.

Ein großer Dank geht an diejenigen, die zum Gelingen dieses Treffens beigetragen haben, an die Geschäftsführerin des Ermlitzer Fördervereins Frau Gabriela Mackenthun, ihre zahlreichen Helfer und unsere Vorsitzende Frau Dr. Irmlind Capelle, die in bewährter Weise die Organisation des Ganzen auf sich genommen hatte. Besonders danken wir Herrn Apel, der den Mitgliedern nicht nur ein inhaltsreiches und anregendes Wochenende bot, sondern auch zeigte, wie durch private Initiative kulturgeschichtlich Erhaltenswertes geschützt und gefördert werden kann. Wir wünschen ihm für alle seine Unternehmungen weiterhin viel Erfolg.

Dagmar Beck