Jahresversammlung 1998

Mitgliedertreffen in Marktoberdorf, 9. und 10. Oktober 1998

Marktoberdorf war vom 9. bis 10. Oktober ganz auf die Internationale Carl-Maria-von-Weber-Gesellschaft eingestellt. Waren die Veranstalter auch etwas enttäuscht, dass sich nur 19 Mitglieder zu dieser Mitgliederversammlung angemeldet hatten, so gab man sich doch alle Mühe, dass diejenigen, die die idyllische Geburtsstadt Genovefa Brenners besuchten, dies nicht merken sollten. Am Freitag erwarteten ab 15.13 Uhr zwei Hauptakteure, die Herren Ernst Rocholl und Heinrich Schneider, die mit der Bahn anreisenden Mitglieder stündlich am Bahnhof und geleiteten sie zu Fuß oder mit dem Auto zu ihrem Quartier. Nachdem der Vorstand bereits ab 17.30 Uhr getagt hatte und auch das letzte Mitglied um 18.13 Uhr eingetroffen war, versammelte sich die Weber-Gesellschaft anschließend zum ersten gemütlichen Beisammensein.

Für Sonnabend, den 10. Oktober, hatte dann die Stadt Marktoberdorf ein anregendes Programm zusammengestellt, in das die Mitgliederversammlung zwanglos integriert war. Um 10 Uhr traf man sich am Rathaus, das allerdings gar nicht so einfach zu finden war, da die Stadt – wie wir später erfuhren – drei Rathäuser hat(te). Von dort starteten wir mit unseren Begleitern Rocholl und Schneider zu einem Stadtrundgang, der den – extra unseretwegen noch nicht in Winterschlaf versenkten – Maibaum, die Apotheke, die Genovefa-Brenner- und die Carl-Maria-von-Weber-Straße, das alte Rathaus und das Geburtshaus des Architekten Johann Georg Fischer sowie zahlreiche Erläuterungen zur Geschichte der Stadt und zum berühmtesten Landesherrn, Fürstbischof Clemens Wenzeslaus (unter dessen Herrschaft in Augsburg Webers Peter Schmoll erklang) einschloss.

Ziel der Führung war das Stadtmuseum, in dem uns der Vorsitzende des Heimatvereins Herbert Eigler begrüßte, assistiert von Damen in Oberländer Tracht, die Sekt und Saft reichten. In den Museumsräumen führte uns Ernst Rocholl in die von ihm erarbeitete Sonder-Ausstellung Lebensstationen von Genovefa von Weber, geb. Brenner, und ihres Sohnes Carl Maria von Weber ein. Diese Ausstellung übertraf alle Erwartungen: Akribisch hatte Rocholl das Material zu Genovefa Brenner und C. M. von Weber zusammengetragen und sehr übersichtlich nach Jahren gegliedert präsentiert. Selbst die MitarbeiterInnen der Arbeitsstellen, die ja eigentlich alles zu Weber und seinem Umkreis wissen sollten, entdeckten neue Quellen und erstmalige Belege. Dass es den Verantwortlichen darüber hinaus gelungen war, einen dreiteiligen Brief von Franz Anton, Genovefa und Carl Maria von Weber nur für dieses Wochenende im Original auszustellen, fanden die Weberianer höchst ehrenvoll. Eifrig wurde die Ausstellung studiert und es entstand bald einhellig der Plan, diese Arbeit auch an anderen Weber-Orten wie Eutin oder Dresden zu präsentieren und möglichst in einem reich bebilderten Katalog zu dokumentieren [Anm. der Red.: diese Dokumentation ist inzwischen erschienen und wird allen Mitgliedern der Weber-Gesellschaft gemeinsam mit dem Heft 9 der Weberiana als Jahresgabe 1999 zugeschickt].

Nach der Mittagspause begann der offizielle Teil des Tages, den die Stadt Markoberdorf wiederum mit Kaffee und Kuchen versüßte. Der 1. Bürgermeister Wolfgang Weinmüller begrüßte die Mitglieder der Gesellschaft und erläuterte dann mit Hilfe eines großen Historien-gemäldes im Sitzungssaal des neuesten Rathauses die Geschichte des Ortes. Anschließend wurden alle Anwesenden überraschend mit der zum 200. Todesjahr 1998 geprägten Genovefa-Brenner-Medaille geehrt. (Mit dem Bildnis der Genovefa Brenner hat es übrigens seine beson-dere Bewandnis. Es besteht ein „Streit“ zwischen Hosterwitz und Marktoberdorf, ob das Porträt Franz Antons erste oder seine zweite Frau zeigt. Sicherlich wird dieses Problem auch in späteren Weberiana noch einmal aufgegriffen.)

Wurde vom Bürgermeister bereits bei der Erklärung des Bildes im Rathaussaal auf die besondere Förderung der bildenden Kunst hingewiesen, so konnten sich die Mitglieder von der Musikförderung in Marktoberdorf dann noch selbst ein Bild machen: Eine Führung durch die Landes-Musikakademie im ehemaligen Schloss ließ manchen Bewohner ärmerer Bundesländer vor allem angesichts des neuerbauten Konzertsaales vor Neid erblassen. Anschließend konnte noch ein kurzer Blick auf die 2,5 km lange Lindenallee und in die Stadtpfarrkirche St. Martin geworfen werden.

Um 18 Uhr veranstaltete die Stadt dann ein öffentliches Konzert der Lehrkräfte der Musikschule der Stadt, in das drei Vorträge zu Genovefa und Carl Maria von Weber eingebunden waren. Prof. Dr. Hermann Regner sprach zu Webers op. 1, den 6 Fughetten, die in diesem Zusammenhang auch am Klavier und mit 4 Klarinetten erklangen. Dr. Andrea Zinnecker hatte aus allen erreichbaren Fakten ein anschauliches Lebensbild von Genovefa Brenner zusammengestellt und Catarina Carsten vertiefte dieses in literarischer Freiheit. Dazu erklangen der erste Satz aus Mozarts Serenade KV 373 und Adagio und Rondo für Bläsersextett JV Anh. 31 von C. M. von Weber, mit sichtbarer Begeisterung ausgeführt von den Lehrkräften der Musikschule der Stadt, außerdem Webers Klarinetten-Concertino JV 109, gespielt von Nanda Ensing (Klarinette) und Jutta Pockrandt (Klavier).

Bei dem anschließenden Empfang für alle Zuhörer wurde auch das im Rahmen der Ausstellung erstellte Sonderheft der Marktoberdorfer Heimatblätter vorgestellt, das die drei Vorträge wiedergibt sowie eine Dokumentation der „unruhigen Jahre der Familie von Weber“ von Ernst Rocholl enthält.

Der mit viel Information und Anregung angefüllte Tag klang zusammen mit den Gastgebern bei einem gemütlichen Beisammensein aus – leider mussten fast alle Mitglieder den gastlichen Ort bereits am nächsten Morgen wegen der Übergabe des ersten Bandes der Gesamtausgabe in Mainz verlassen.

Irmlind Capelle

Präsentation des ersten Gesamtausgabenbandes in Mainz (11. Oktober 1998)

Nach dem Ende der Mitgliederversammlung der Weber-Gesellschaft in Marktoberdorf (s. S. 76-77) hieß es rasch die Koffer gepackt, denn schon am nächsten Tag, dem 11. Oktober 1998, fand in Mainz das Ereignis statt, auf das alle Weberianer lange gewartet hatten: Die Präsentation des ersten Bandes der Gesamtausgabe, verbunden mit einer Aufführung der Missa sancta Nr. 2 G–Dur im Hohen Dom zu Mainz. Erfreulicherweise konnten an diesem Ereignis unser Ehrenvorsitzender Hans-Jürgen Freiherr von Weber mit seiner Gattin Freifrau Ute von Weber, ferner seine Tochter Marina Grützmacher geb. Freiin von Weber und sein Sohn Christian Max-Maria von Weber teilnehmen, außerdem hatte es sich auch der „harte Kern“ unserer Gesellschaft nicht nehmen lassen, diesem feierlichen Ereignis beizuwohnen.

Zunächst erwartete die Mitglieder ein erstaunlicherweise fast bis auf den letzten Platz gefüllter Dom zur Aufführung von Webers Messe sowie des ebenfalls erst kürzlich edierten Magnificat von Felix Mendelssohn Bartholdy. Prälat Dr. Werner Guballa, Generalvikar der Diözese Mainz, unterstrich in einer kurzen Ansprache die Bedeutung dieser Aufführung, die von der Mainzer Domkantorei St. Martin unter Leitung von Prof. Mathias Breitschaft, den Solisten Mechthild Bach (Sopran), Ulrike Becker (Alt), Klaus Schneider (Tenor), Werner Rollenmüller (Bass) und der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz bestritten wurde. Auch wenn der enorme Nachhall in der schwierigen Akustik des Domes den Genuss vielleicht etwas trüben mochte, konnte man doch eine Aufführung erleben, die insbesondere in Webers Messe etwas vom Kern dieses teils „kindlich-jubelnden“ (so Weber selbst!), teils melancholisch-anrührenden Werkes freilegte. Der herrliche Sopran-Solo-Abschnitt vom Et incarnatus est bis zum Crucifixus des Credo wurde mit einer Ruhe ausmusiziert, die die Stelle zu einer der eindrücklichsten der ganzen Messe machte. Viele Details, auf die die Herausgeberin, Dagmar Kreher, und die beiden Redakteure des Bandes besonders aufmerksam hörten, waren in dieser Aufführung erstmals in Webers Sinne erlebbar. Auch das besonders heikle Dona nobis im Agnus geriet nicht zu einem Ännchen-artigen heiteren Ausklang, sondern fügte sich gut in die Gesamtdisposition des Dirigenten ein. Viele Zuhörer bestätigten nach dem Anhören dieser Aufführung den Eindruck von Größe, den das unbekannte Werk auf sie gemacht hatte – schöner hätte man sich die Präsentation des Inhaltes dieses ersten Bandes der Gesamtausgabe also kaum vorstellen können.

Auch in der anschließenden Feierstunde, zu der der Chor ins Haus am Dom geladen hatte, klang in allen Ansprachen das Eindrückliche dieser Aufführung nach, und mit herzlich-warmem Applaus wurde der Dirigent Prof. Breitschaft empfangen, der dieser Aufführung denn auch nichts in Worten hinzufügen mochte. Der Chef des Hauses B. Schott’s Söhne (oder, wie es seit einiger Zeit heißt: Schott Musik International), Dr. Peter Hanser-Strecker, begrüsste die Gäste und gab seiner Freude über das Erscheinen des opulenten „Jungfern“-Bandes Ausdruck. Für manchen überraschend erwähnte er zugleich, dass Weber durchaus auch selbst Kontakt zum Hause Schott hatte, ja dass noch heute im Archiv des Verlages eine Reihe von Briefen Webers schlummerten, die er dem Ururenkel Carl Maria von Webers, Hans-Jürgen Freiherr von Weber, in Kopie überreichte, um ihm damit zugleich ein kleines Zeichen des Dankes für seine tatkräftige Mithilfe an der Erstellung des ersten Bandes zu übermitteln. Freiherr von Weber, Besitzer mehrerer Weber-Quellen (so auch des Autographs der aufgeführten G-Dur-Messe), hatte (und hat) stets ein offenes Ohr für die Mitarbeiter der Ausgabe, denen er jederzeit Zugang zu seinen wertvollen Schätzen gewährte.

Prof. Dr. Gerhard Allroggen, Herausgeber der Weber-Gesamtausgabe, ergriff anschließend die Gelegenheit zum Dank an all jene, die bei der schwierigen „Geburt“ dieser Gesamtausgabe mitgewirkt hatten. Er erinnerte insbesondere an die unermüdlichen Aktivitäten von Dr. Hanspeter Bennwitz von der Mainzer Akademie der Wissenschaften, der in langjährigen zähen Verhandlungen – auch in einer Zeit des politischen Umbruchs nach dem Mauerfall – die Einrichtung zweier Mitarbeiterstellen für die Gesamtausgabe in Berlin sowie einer Stelle in Detmold erreicht hatte. Auch Bennwitz‘ Nachfolgerin, Dr. Gabriele Buschmeier, fühlte er sich  zu großem Dank verbunden für die Unterstützung und das Wohlwollen, das sie weiterhin der Weber-Ausgabe angedeihen ließe. Im Verlag war es zunächst der leider allzu früh verstor-bene Lektor Lothar Friedrich, der die Pläne zu einer Gesamtausgabe förderte. Mit Bedauern erwähnte Allroggen auch, dass ein weiterer „Geburtshelfer“ und Mitstreiter aus erster Stunde, Dr. Wolfgang Goldhan, der frühere Leiter der Musikabteilung der Deutschen Staatsbibliothek Berlin/Ost, nicht an dieser Feierstunde teilnehmen könne. Goldhan sei unter großem persönlichen Risiko stets für die damals verpönte deutsch-deutsche Zusammenarbeit eingetreten und habe mit geschickten Verhandlungen die Sache auf den Weg gebracht. Glücklich sei er darüber, dass auch der neue Leiter der Musikabteilung der nunmehr vereinigten Bibliotheken, Dr. Helmut Hell, dem Unternehmen „Weber-Ausgabe“ sehr positiv gegenüberstehe. Schließlich freue er sich auch über die gute Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern des Verlages, besonders den Herren Thomas Frenzel und Dr. Rainer Mohrs, aber auch den Mitarbeitern der Herstellung. Im Anschluss an diese Dankesworte umriss Allroggen in knappen Bemerkungen die wesentlichen Charakteristika und Ziele der neuen Gesamtausgabe.

Nunmehr schritt Herr Dr. Hanser-Strecker „zur Tat“. Mit feierlichem Händedruck überreichte er vor blitzenden Fotoapparaten den „Erstling“ der Gesamtausgabe an den 87jährigen Ururenkel Webers, Hans-Jürgen Freiherr von Weber. Herr von Weber nahm den Band sichtlich gerührt entgegen und dankte mit bewegter Stimme allen, die das Erreichen dieses Zieles ermöglicht hätten. Für ihn, der seit frühester Kindheit „mit Weber“ aufgewachsen war und in seinem Elternhause in Dresden führende Musiker seiner Zeit ein- und ausgehen sah, erfüllte sich mit diesem Tag ein langgehegter Wunsch, und er versicherte, dass auch seine Kinder Marina und Christian Max-Maria sich weiterhin für die Belange der Gesamtausgabe und für „ihren Weber“ einsetzen würden. Mit sichtlichem Stolz präsentierte er den gewichtigen Band vor den Augen der Fotographen, begleitet vom herzlichen Beifall der anwesenden Chormitglieder und Gäste.

Im Anschluss überreichte Dr. Hanser-Strecker weitere Bände an die Vorsitzende der Internationalen Carl-Maria-von-Weber-Gesellschaft, Frau Dr. Ute Schwab, an den Herausgeber der Gesamtausgabe, Prof. Dr. Gerhard Allroggen, und – jetzt quasi als offizielles Exemplar – an den Leiter der Aufführung, Prof. Mathias Breitschaft.

Danach durften sich die Anwesenden bei Brezeln und Wein wieder den „irdischeren“ Dingen zuwenden, am späteren Abend traf sich der engere Kreis der „Weberianer“ nochmals zum Ausklang eines wichtigen Tages in der Geschichte der Weber-Forschung, aber auch der Weber-Pflege. Könnten doch alle Bände der Gesamtausgabe in einem so schön klingenden Gewande präsentiert werden!