Jahresversammlung 1993

Wissenschaftliches Kolloquium zur Carl-Maria-von-Weber-Gesamtausgabe in Detmold

Am ersten Septemberwochenende 1993 fand in Detmold die nunmehr dritte Mitgliederversammlung der Internationalen Carl-Maria-von-Weber-Gesellschaft e.V. statt. Zwei Besonderheiten zeichneten diese Zusammenkunft aus, die erste eine eher äußerliche: mit Detmold wurde erstmals ein Austragungsort gewählt, der abseits von Webers Lebensweg liegt, den er offensichtlich nie besuchte. Und doch eine Wahl mit Bedacht – seit 1988 bereitet die Detmolder Arbeitsstelle der Weber-Gesamtausgabe, beheimatet im Musikwissenschaftlichen Seminar Detmold-Paderborn, die Edition der Briefe des Komponisten vor. Dieser Arbeitsgruppe oblag die Vorbereitung der Mitgliederversammlung am 5. September, aber auch – so die zweite und gewichtige Besonderheit – eines mit dieser Zusammenkunft gekoppelten ersten wissenschaftlichen Kolloquiums zur Carl-Maria-von-Weber-Gesamtausgabe am Vortage.

Eröffnet wurde das Kolloquium am 4. September 1993 im Brahms-Saal der Detmolder Hochschule für Musik selbstverständlich musikalisch: Studenten der Hochschule (Jens Troester, Frank-Georg Jarke und Dimitri Dichtjar) spielten mit beachtlichem Engagement (trotz der frühen Stunde) Webers Trio für Pianoforte, Flöte und Violoncello g-Moll JV 259. Es folgten Grußworte von Hans-Jürgen Carl-Maria Freiherr von Weber, dem Ehrenpräsidenten der Weber-Gesellschaft, Helmut Holländer, Verbandsvorsteher des Landesverbandes Lippe, Friedrich Brakemeier, Bürgermeister der Stadt Detmold, und der Vorsitzenden der Weber-Gesellschaft Frau Dr. Ute Schwab. Prof. Dr. Hans Albert Richard, Rektor der Universität – Gesamthochschule – Paderborn, würdigte vor allem den interdisziplinären Anspruch des Kolloquiums, an dem sich auch Literaturwissenschaftler der Universität beteiligten. Prof. Hans Ulrich Kunze, stellvertretender Rektor Hochschule für Musik Detmold, brachte die Hoffnung zum Ausdruck, dass mit der Arbeit an der Gesamtausgabe entscheidende Impulse auch auf die Musikpraxis ausgehen, um Weber im öffentlichen Musikleben endlich den Ehrenplatz einzuräumen, der ihm gebühre. Eine besondere Überraschung hielt Herr Thomas Frenzel vom Schott-Verlag bereit: er konnte dem Auditorium den druckfrischen ersten Band der Weber-Studien präsentieren. Diese Studienbände sollen das Entstehen der Gesamtausgabe begleiten, neue Forschungsergebnisse zum Leben und Schaffen des Komponisten, zur Werkrezeption und zur Quellen-Überlieferung zur Diskussion stellen. Die Gestaltung der Studien gibt einen Vorgeschmack auf das Erscheinungsbild der geplanten Gesamtausgabe, die vom gleichen Verlag betreut wird.

Im Anschluss an die einleitenden Beiträge umriss Prof. Dr. Gerhard Allroggen, Editionsleiter der Weber-Ausgabe, die Zielsetzung des Kolloquiums: eine kritische Diskussion der Editionsrichtlinien anhand erster Ergebnisse bei der Editionsarbeit und vor allem den Erfahrungsaustausch mit anderen Gesamtausgaben und Editions-Projekten, besonders in thematisch benachbarten Bereichen wie der Brahms-, Schumann- oder Mendelssohn-Forschung. Einführende Worte über die beiden Weber-Arbeitsstellen in Detmold und Berlin erklärten den unterschiedlichen Stand der Vorarbeiten: während in Detmold bereits seit 1988 an der Ausgabe der Briefe (seit Herbst 1991 mit Berliner Beteiligung) und seit 1992 an der Drucklegung der Messen Webers gearbeitet wurde, begannen die in Berlin geplanten Vorarbeiten zur Edition der Tagebücher Webers erst mit Beginn des Jahres 1993. Eine zweite Stelle, betraut zunächst mit der Herausgabe ausgewählter Bühnenwerke des Komponisten und der Überarbeitung des Werkverzeichnisses von Friedrich Wilhelm Jähns, wurde erst zum 1. September 1993 neu besetzt.

Der erste Teil des Kolloquiums, geleitet von Dr. Hanspeter Bennwitz von der Konferenz der deutschen Akademien der Wissenschaften in Mainz, widmete sich der Konzeption der Ausgabe der Briefe, Tagebücher und handschriftlichen sowie gedruckten Dokumente. Diskussionsgrundlage war ein „Probemonat“, d.h. eine Zusammenstellung aller dieser Quellen vom September 1810, der allen Diskussionsteilnehmern vorlag und ausschnittsweise auch in dem informativen Programmbuch zur Tagung abgedruckt ist. Im ersten Referat verdeutlichte Frau Eveline Bartlitz (Berlin) anhand von Vergleichen von Brief-Autographen Webers mit der 1886 durch Carl von Weber, dem Enkel des Komponisten, veröffentlichten Briefausgabe die Notwendigkeit einer Neuedition der Korrespondenz. Trotz ihrer historischen Bedeutung weist die Arbeit des Weber-Enkels wesentliche Mängel auf: Sie glich die Orthographie der damals modernen Praxis an, verzichtete also auf die Wiedergabe von Schreibeigenheiten Webers, denen in seinen Briefen ein nicht zu unterschätzender Ausdruckswert zukommt. Neben Ungenauigkeiten oder Fehlern bei der Übertragung wurden verschiedene Passagen, besonders in Briefen aus Webers Todesjahr 1826, ausgelassen – teils aus Diskretion in Familienangelegenheiten oder gegenüber noch lebenden Personen, besonders dem sächsischen Königshaus, teils aber auch wegen vermeintlicher Unwichtigkeit. Besonders problematisch sind Umstellungen oder Ergänzungen, die Carl von Weber im Sinne einer Aufwertung der Briefe vornahm. Zu diesem Zwecke fügte er auch Passagen aus den Tagebüchern in die Briefe ein, ein Vorgehen, das trotz aller Verdienste eine Neuausgabe der ca. 2000 erhaltenen (von ca. 5000 nachweisbaren) Briefe des Komponisten unerlässlich macht.

Frau Dagmar Beck (Berlin) berichtete über erste Erfahrungen bei der Übertragung und Kommentierung der Tagebücher des Komponisten und stellte Varianten für die drucktechnische Gestaltung der Edition vor. Weber führte vom 26. Februar 1810 bis an sein Lebensende fortlaufend Tagebuch; einige Lücken, besonders im Jahrgang 1814 könnten auf Fehlstellen in den Originalen hinweisen. Die Tagebücher geben Informationen zu Persönlichkeiten, mit denen Weber in direktem Kontakt stand, zu Reiserouten, Konzert- und Theaterbesuchen, zur Komposition und zur Aufführung eigener Werke, über Verlagsverhandlungen, die Korrespondenz, Geldeinnahmen und -ausgaben, aber auch über die persönliche Befindlichkeit des Komponisten. Die überwiegend stichpunktartige Anlage der Bücher, die ja nicht für die Augen anderer bestimmt waren, erzwingt eine ausführliche Kommentierung, und besonders die Fülle genannter Personen stellt die Herausgeberin vor große Probleme. Bereits 1963 – 1966 hatte Franz Zapf, damaliger Direktor des Dresdner Münzkabinetts, eine Übertragung dieser Notizen vorgenommen, die allerdings heutigen wissenschaftlichen Ansprüchen nicht mehr gerecht wird. Die geplante Drucklegung des in der Kommentierung unvollständig gebliebenen Manuskripts kam nach seinem Tode 1966 nicht zustande.

Das gemeinsame Projekt einer integrierten Ausgabe der Briefe, Tagebücher und Dokumente wurde anschließend von Dr. Joachim Veit (Detmold) vorgestellt. So könnten jeweils ein Jahrgang der Briefe des Komponisten in einem Band gemeinsam mit Tagebuchnotizen sowie ausgewählten Gegenbriefen, handschriftlichen und gedruckten Dokumenten aus diesem Zeitraum veröffentlicht werden. Ein gemeinsamer Kommentarteil und die Möglichkeit von Verweisungen zwischen den verschiedenen Quellen würde eine größtmögliche Vereinfachung für die Erstellung der Ausgabe aber auch für die Benutzung erbringen. Diese Planung, der finanztechnisch leider bislang jegliche Grundlage fehlt – die Briefausgabe wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert, für die Edition der Tagebücher ist die Konferenz der Akademien zuständig – stand im Zentrum der sich anschließenden regen Diskussion und fand überwiegend Zustimmung. Koreferent Dr. Gerd Nauhaus (Zwickau), der als Herausgeber der Tage- und Haushaltbücher Robert Schumanns über seine Erfahrungen mit der Edition derartiger Materialien berichten konnte, griff den Vorschlag auf und wies nochmals auf die Möglichkeit der Vereinfachung von Kommentarteil und Registern in einer solchen Ausgabe hin.

Die anwesenden Literaturwissenschaftler – Prof. Dr. Hartmut Steinecke und Dr. Norbert Eke (beide Paderborn) von der Lenau-Briefausgabe – betrachteten die Mischung unterschiedlicher Textgattungen in einer Edition mit Skepsis und verwiesen auf das in der literaturhistorischen Betrachtung gewandelte Verständnis der Briefe als literarische Äußerung, nicht mehr nur als „Materialsteinbruch“ für biographische und werkhistorische Studien. Allerdings ist das Ensemble der heute noch greifbaren Briefe Webers, ungeachtet ihrer Qualität, nicht als geschlossener Korpus, als literarischer Text zu betrachten, es stellt sich vielmehr als ein Zufallsprodukt der Überlieferung dar. Zumindest die Verbindung von Briefen und Tagebuch wurde im vorliegenden Fall von Herrn Prof. Dr. Steinecke als überzeugendes Konzept gewertet; allerdings sahen beide Literaturwissenschaftler die Einbeziehung der Dokumente in den gleichen Band als problematisch an.

Zusätzlichen Zündstoff für die lebhafte Debatte boten auch die unscharf formulierten Auswahlkriterien für die Aufnahme dieser Dokumente und für den Abdruck von Gegenbriefen. Prof. Dr. Detlef Altenburg (Detmold) wies auf das Vorliegen einiger Editionen von Briefen an Weber (z.B. von Meyerbeer) hin, auf die im Kommentar der Weber-Gesamtausgabe Bezug genommen werden könnte, ohne das Schreiben nochmals abzudrucken. Nach Ansicht von Dr. Veit sollten zuverlässig und gut zugänglich publizierte Gegenbriefe nicht in die Ausgabe aufgenommen werden, gedruckte Dokumente nur dann, wenn sich Brief- oder Tagebuchpassagen direkt auf sie beziehen. Gerade für Webers letzte Lebenjahre, spätestens nach dem sensationellen Erfolg der Freischütz-Uraufführung in Berlin 1821, sind derartig viele gedruckte Zeugnisse nachweisbar, dass ein vollständiger Abdruck den Rahmen der Edition sprengen würde. Selbstverständlich sei jedoch seit den ersten Planungen die weitgehend vollständige Aufnahme handschriftlicher Dokumente in die Ausgabe gewesen, da solche Materialien nur in wenigen Fällen (z.B. Stuttgarter Prozessakten von 1810) in größerem Umfang vorliegen. Dr. Veit wies auch auf die Problematik der Briefentwürfe Webers hin. Sie sollen in der Gesamtausgabe bei Verlust der Reinschrift – typographisch abgesetzt – an die Stelle der Endfassung treten. Abweichungen von Entwürfen zu erhaltenen Briefen werden lediglich im Kommentar der Ausgabe erfasst.

Als Ergebnis der Diskussion, die zahlreiche Anregungen zu weiteren Detail-Erörterungen gab, konnte festgehalten werden, dass hinsichtlich der Integration von Tagebuch- und Briefausgabe Einigkeit bestand, dass jedoch im Hinblick auf die Dokumente zunächst noch anhand späterer Jahrgänge des Briefwechsels und der Tagebücher zu prüfen sei, ob und wie eine Publikation in direktem Zusammenhang mit der jetzt vorbereiteten Ausgabe möglich ist.

Der zweite Teil des Kolloquiums unter Leitung von Prof. Allroggen beschäftigte sich mit den Messen Webers. Frau Dagmar Kreher M.A. (Detmold) berichtete über den Arbeitsstand bei der Vorbereitung der Edition: Materialsammlung, Quellenbewertung und computergestützte Erstellung einer Partitur der Messe Es-Dur nach der Hauptquelle. Die Quellenlage erweist sich bei Webers Messkompositionen und den dazugehörigen Offertorien als relativ übersichtlich. Da Weber diese Werke dem sächsischen Hof dediziert hatte, blieb eine Drucklegung zu Lebzeiten des Komponisten aus. Als Hauptquellen für die Edition sind die Autographen aus Webers privatem Archiv zu betrachten: Die Partituren zur Messe Es-Dur JV 224 und zum Offertorium „Gloria et honore“ JV 226 gehören heute zur Weberiana-Sammlung der Staatsbibliothek zu Berlin, die Originalhandschriften der Messe G-Dur JV 251 und des Offertoriums „In die solemnitatis vestrae“ JV 250 befinden sich noch in Familienbesitz und wurden speziell für die bevorstehende Edition verfilmt und vom Freiherrn Hans-Jürgen Carl-Maria von Weber der Weber-Ausgabe zur Verfügung gestellt. Allerdings handelt es sich bei allen vier Quellen um Reinschriften, nicht um Kompositionsautographe. Wann und zu welchem Zweck sie entstanden, ist momentan nicht eindeutig zu klären. Neben den Autographen stehen als Sekundärquellen für die Edition mehrere authentische Kopien zur Verfügung. Weber vermerkte die Herstellung bzw. den Versand solcher Abschriften gewissenhaft in seinem Tagebuch. Leider sind nicht alle im Tagebuch nachweisbaren Quellen heute noch auffindbar. So fehlen die Partituren beider Messen, die Weber dem Gothaer Hof übersandte, und auch das Manuskript der Es-Dur-Messe, das der Komponist 1818 an Papst Pius VII. schickte, konnte bislang im Geheimen Archiv des Vatikans nicht ermittelt werden. Von den erhaltenen Kopien erwiesen sich im Falle der Es-Dur-Messe und des dazugehörigen Offertoriums die in der Berliner Staatsbibliothek (Mus.ms.22720) und in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien (S.M.5129) verwahrten Quellen als relativ zuverlässig. Die Manuskripte, die sich heute in der Sächsischen Landesbibliothek in Dresden befinden (Mus.4689-D-1, Mus.4683-D-3), sind dagegen offensichtlich von Weber nur oberflächlich durchgesehene Dedikationsexemplare, die wahrscheinlich nicht zu Aufführungszwecken herangezogen wurden. Alle genannten Kopien sind von Dresdner Kopisten angefertigt worden, allerdings ist es nach Auskunft von Frau Dr. Ortrun Landmann (Dresden) bis heute nicht gelungen, die namentlich bekannten Dresdner Kopisten mit den dazugehörigen Handschriften in Verbindung zu bringen.

Koreferent Dr. Bernhard Appel (Düsseldorf) legte das Hauptaugenmerk seiner Ausführungen auf die drucktechnische Gestaltung der Messen-Ausgabe. Er plädierte für eine Wiedergabe in originaler Partitur-Anlage. Dadurch werden kompositiorische Zusammenhänge deutlicher: die traditionelle Behandlung der Hörner als harmonisches „Füllmaterial“ zwischen Klarinetten und Fagotten oder die Generalbass-Perspektive der instrumentalen Bässe, die somit getrennt von den übrigen Streichern unter dem Chor zu notieren wären. Die Praxis moderner Gesamtausgaben, das Partiturbild der Orchesterhierarchie des frühen 20. Jahrhunderts anzugleichen, sei ein falsches Zugeständnis an die Musikpraxis, zumal die musikalische Struktur des Werks in der historischen Anordnung optisch deutlicher werde. Problematisch ist die Gestaltung der von Weber nicht notierten Orgelstimme. Die Mitwirkung der Orgel war für die Dresdner Kirchenmusik zur Zeit Webers obligatorisch, sie wurde in der Partitur nicht ausdrücklich vermerkt. In einer modernen Ausgabe muss der Herausgeber auf solche historischen Selbstverständlichkeiten hinweisen, eventuell auch Vorschläge zur Gestaltung des Generalbasses geben. Zu überdenken wären weiterhin die Orthographie bei der Wiedergabe des Messtextes – in Dresden waren italienische Sänger engagiert, die Silbentrennung sollte demnach der italienischen Singpraxis angeglichen werden – und die Gültigkeit von dynamischen Vorzeichen im Bläsersatz, die durch die Notierung zwischen den Systemen bei Weber nicht immer eindeutig zuzuordnen sind. Im Anschluss wurde vorwiegend über Details der Editionsrichtlinien (Auflösung von Abbreviaturen, Möglichkeiten der typographischen Kennzeichnung von Herausgeberzusätzen etc.) und die Terminologie der Quellenbeschreibung (z.B. den Begriff der Referenzquelle) diskutiert.

Der abschließende Teil 3 des Kolloquiums widmete sich wiederum unter Leitung von Prof. Allroggen den Problemen bei der Edition von Werken für Blasinstrument mit Begleitung am Beispiel des Klarinettenquintetts. Das Referat von Dr. Veit und das Koreferat von Dr. Michael Struck (Kiel) gestalteten sich als Dialog vorrangig über die komplizierte Quellenlage. Für die Edition steht eine erstaunliche Fülle von authentischen Materialien zur Verfügung: eine autographe Partitur (Staatsbibliothek zu Berlin), eine Stichvorlage für die Sätze 1 bis 3 (Library of Congress, Washington), eine Stichvorlage zum 4. Satz (Berlin), eine Stichvorlage zum Klavierauszug (Washington), der Stimmenerstdruck, die korrigierte Fassung des Erstdruckes und der Erstdruck des Klavierauszuges. Das Autograph erweist sich bei genauer Betrachtung wiederum als Reinschrift. Weber arbeitete an dem Quintett außergewöhnlich lange (1811 bis 1815), so dass die Arbeitspartitur verschiedene zeitliche Schichten aufweisen müsste. Das Autograph zeigt jedoch keine solche Spuren des Kompositionsprozesses, es wurde von Weber wahrscheinlich sogar erst nach Anfertigung der Stichvorlage kopiert. Ob Reinschrift und Stichvorlage auf eine gemeinsame Quelle, das nicht überlieferte Kompositionsautograph, zurückgehen, kann nicht mit Sicherheit behauptet werden. Zudem fehlt eine weitere Stichvorlage, die alle vier Sätze des Quintetts umfasst. Friedrich Wilhelm Jähns beschrieb in seinem Werkverzeichnis ein solches Manuskript, dessen heutiger Standort bisher nicht ermittelt werden konnte. Da der Erstdruck des Quintetts sehr fehlerhaft war, gab Webers Hauptverleger Schlesinger nach erneuter Korrektur durch den Komponisten eine zweite Auflage dieses Drucks heraus. Sie ist zwar immer noch fehlerhaft, enthält jedoch authentische Ergänzungen, und muss so als wichtige Quelle für die Edition herangezogen werden. In der Diskussion ergab sich, dass für die Bewertung von Stichvorlagen noch relativ wenig Erfahrungen bestehen. Schlesinger zeichnete eingesandte Werke, die er veröffentlichen wollte, meist auf der ersten Seite ab, vergab dort bereits die Plattennummer und stempelte die Kopien. Die Stechereinträge sind verschiedenartig – teils wurden Seitenumbrüche u.ä. eingetragen, teils auch nur mit dem Stichel eingedrückt. Einigkeit herrschte über die späte revidierte Ausgabe des Quintetts durch Carl Baermann, den Sohn des Klarinettisten Heinrich Baermann, dem Weber die Komposition zugedacht hatte. Baermann Sohn berief sich auf die Familientradition, die die originalen Interpretations-Anweisungen Webers angeblich bewahrt hatte. Aus heutiger Sicht kann man die Baermann-Fassung bestenfalls als eine Möglichkeit der Interpretation gelten lassen – den ausschließlichen Willen des Komponisten spiegelt sie (wie durch etliche Beispiele belegt werden konnte) keinesfalls wider und ist somit auch nicht in der Gesamtausgabe zu berücksichtigen. Ein möglicher Abdruck im Anhang ist angesichts der weiten Verbreitung der Baermann-Ausgabe kaum sinnvoll.

Am Ende dieser Zeilen sei dem Detmolder Organisationsteam für die fabelhafte Vorbereitung der Tagung gedankt, die einen reibungslosen Ablauf und eine konstruktive Gesprächsatmosphäre garantierte. Die selbsternannten „Weberknechte“ unter Leitung von Prof. Allroggen: Frau Martina Bergler, Frau Dagmar Kreher, Herr Oliver Huck und allen voran Herr Dr. Joachim Veit haben Webers Wahlspruch, der so oft im Verlauf des Kolloquiums als Richtschnur zitiert wurde, vollauf beherzigt: Beharrlichkeit führt zum Ziel!

Frank Ziegler