Jahresversammlung 2008

Im Zeichen der Klarinette

Das Mitgliedertreffen in München vom 31. Oktober bis zum 2. November 2008

Schönstes Herbstwetter empfing die zahlreich angereisten Weber-Gesellschafter 2008 bei ihrem alljährlichen Treffen, das dieses Mal in München stattfand. Die Sonne schien auch für die Liebhaber der Klarinettenmusik, ist doch diese Stadt mit Webers Werken für dieses Instrument verbunden. Doch als Weber im Frühjahr 1811 in der bayerischen Hauptstadt Station machte, wusste er noch nicht, dass bis zum Jahresende einige Kompositionen entstehen sollten, die schon alleine ausreichen würden, seinen Namen bis heute in der Musikwelt lebendig zu halten. Denn erst die in München begründete langjährige Freundschaft mit dem Klarinettisten des Münchner Hoforchesters Heinrich Joseph Baermann und darüber hinaus der fruchtbare Kontakt zum bayerischen Königshaus, das Weber mit Kompositionsaufträgen unterstützte, schufen ein für Weber äußerst produktives Klima.

So war es nur folgerichtig, dass das Jahrestreffen von einem anregenden Symposium mit dem Thema Webers Klarinettenwerke und ihr historisches Umfeld begleitet wurde. Dieses von der Weber-Gesellschaft zusammen mit der Gesellschaft für Bayerische Musikgeschichte organisierte Symposium hatte substantielle Mitstreiter in der Münchner Hochschule für Musik, dem Institut für Musikwissenschaft der Universität München, der Musikinstrumentenabteilung des Deutschen Museums sowie dem Orff-Zentrum, das die überaus angenehmen Räumlichkeiten des Treffens in der Kaulbachstrasse zur Verfügung stellte.

Der erste Teil des Symposiums ging den Quellen, der Edition und der Aufführungspraxis von Webers Klarinettenwerken nach. Frank Heidlberger (Denton, Texas) schilderte, ausgehend von seinen Erfahrungen mit der Edition von Webers Klarinettenkonzerten für die Weber-Gesamtausgabe, die Probleme, die sich bei der Erarbeitung eines Notentextes stellen, der durch vielfältige Einflüsse der Praxis geprägt ist. Anschaulich wurde in seiner Darstellung, dass bei Webers Klarinettenkonzerten die langjährige Zusammenarbeit zwischen Komponist und Interpret (sowie dessen eigene Modifikationen) die Feststellung einer definitiven und auf Webers ursprüngliche kompositorische Intention zurückgehenden Fassung äußerst schwierig macht. Joachim Veit (Detmold) zeigte in seinem an Heidlbergers Ausführungen nahtlos anschließenden Vortrag anhand des f-Moll-Konzerts die Möglichkeiten, die in einer digitalen Edition solcher komplexen Werkfassungen liegen. Sein Beitrag vermittelte darüber hinaus einen Einblick in die derzeit innovativsten Techniken der Vermittlung von komplexen Fassungen musikalischer Werke und machte dadurch deutlich, warum die Weber-Gesamtausgabe im Kreis der Werkausgaben derzeit führend hinsichtlich des Umgangs mit den modernen Medientechnologien ist.

Dem zu Webers Zeit traditionellen Medium der Werkvermittlung – dem Instrument der Klarinette – widmeten sich die beiden folgenden Beiträge des ersten Symposiumsteils. Heike Fricke (Berlin) untersuchte die Klarinette Heinrich Baermanns und erklärte vor dem Hintergrund der Geschichte des Instruments kenntnisreich und detailliert deren technische Besonderheiten, die bestimmte Griffkombinationen in Webers Kompositionen auch bei raschem Tempo erst möglich machten und die zugleich Voraussetzung für klanglich befriedigende Resultate über die gesamte Skala schufen. Daran schloss Robert Erdt (Jettingen) mit der Darstellung des Wirkens von Carl Baermann an, der als Sohn von Heinrich Baermann – und als direkter Nachfolger seines Vaters in der Münchner Hofkapelle – dessen Spieltradition fortsetzte und als Pädagoge den Klarinettenunterricht bis heute prägt.

Der am Samstag folgende zweite Teil des Symposiums widmete sich dem Münchner Musikleben um 1810 und stellte die bis dahin erarbeiteten Ergebnisse in einen weiteren historischen Rahmen. Joachim Tschiedel (München) rückte Franz Danzis musikdramatisches Werk Der Berggeist (1813) in den Mittelpunkt seiner Darstellung und würdigte es als erste romantische Oper. Tschiedel fragte nach den Vorläufern dieses zu Beginn des 19. Jahrhunderts attraktiven Sujets (etwa in Abbé Voglers Rübezahl, 1802). Zugleich ging er den von Danzis Werk stammenden Einflüssen auf die folgende romantische Opernproduktion nach und schilderte Webers eigene Auseinandersetzung mit diesem Stoff, der noch im Freischütz seine Spuren hinterlassen hat. Seiner eindrücklichen musikalischen Vermittlung eines längeren Abschnitts aus Danzis Werk (freundlicherweise unterstützt von dem Tenor Michael Mogel) schlossen sich die ebenso lebendigen Erörterungen des Klarinettisten Markus Schön (ebenfalls München) an, der sich den musikpraktischen Aspekten von Webers Klarinettenwerken zuwandte und insbesondere auf formale Gesichtspunkte der Reprisengestaltung sowie ihre Folgen für die Interpretation einging. Seine von Joachim Tschiedel am Klavier begleitete Demonstration der behandelten Abschnitte ließ die Konsequenzen seiner Ausführungen unmittelbar deutlich werden.

Stephan Hörner (München) öffnete daraufhin den thematischen Raum durch eine ausführliche und kenntnisreiche Darstellung des Münchner Musiklebens zur Zeit von Webers Anwesenheit; besonders vor dem Hintergrund der um 1800 nicht eben glanzvollen Zeit der Hofkapelle wurde Webers starker Einfluss auf das Konzertwesen der Stadt sichtbar. Die Historikerin Friedegund Freitag (München) stellte daran anschließend die historische Rolle Bayerns zu Beginn des 19. Jahrhunderts und damit die Entwicklung Münchens zur Verwaltungshauptstadt eines modernen Territorialstaats in den Mittelpunkt ihres Vortrags und rundete damit das Symposium mit der Einbindung des lokalen Musiklebens in die turbulenten politischen Ereignisse ab, die durch Napoleon auf dem europäischen Kontinent ausgelöst wurden.

Stephan Hörner konnte gemeinsam mit Bernhold Schmid am Samstagnachmittag seine Ausführungen durch einen Spaziergang zu Stätten des Münchner Musiklebens (aus der Zeit von Orlando di Lasso bis hin zu Richard Strauss) ergänzen: Vom ehemaligen Odeons-Konzertsaal führte der Stadtrundgang u. a. durch die Höfe der Residenz, zum ehemaligen Hoftheater, zum Orlando-Haus, zum Alten Hof und zur Frauenkirche.

Anschaulich gemacht wurden die vom Symposium behandelten Perspektiven durch zwei von der Weber-Gesellschaft initiierte öffentliche Konzerte. Das Orchester der Münchner Hochschule für Musik vermittelte unter Leitung von Ulrich Nicolai am Freitagabend einen plastischen Eindruck von Webers Klarinettenkonzert f-Moll auf Grundlage der neuen, im Rahmen der Weber-Gesamtausgabe veröffentlichten Edition. Der junge Klarinettist Maximilian Strutynski (aus der Klasse von Ulf Rodenhäuser) bewältigte den Solopart souverän und präsentierte die von allen nachträglichen Hinzufügungen befreite Klarinettenstimme in der von Weber ursprünglich intendierten Version. Daneben kam Webers Ouvertüre Der Beherrscher der Geister nach der neuen und ebenfalls kurz vor der Veröffentlichung stehenden Edition der Weber-Gesamtausgabe zu ihrer prägnanten (Neu-)Aufführung. Beide Werke verdeutlichten die Chancen, die die erstmals publizierten kritischen Texte der Weber-Gesamtausgabe dem Konzertleben eröffnen. Flankiert wurden Webers Kompositionen durch die Uraufführung von Johannes X. Schachtners Credo für Orgel und Orchester mit dem Solisten Konstantin Esterl (Klasse von Harald Feller) sowie durch W. A. Mozarts „Prager“ Sinfonie in D-Dur (KV 504).

Ein weiteres Konzert in den Räumen der Instrumentensammlung des Deutschen Museums am Sonntagvormittag stieß gleichfalls auf großes Publikumsinteresse. Klarinettenkammermusik aus dem frühen 19. Jahrhundert stand auf dem Programm – und damit auch zwei Werke Webers. Der Klarinettist Markus Schön spielte auf dem Nachbau einer historischen Grenser-Klarinette und brachte zusammen mit Christoph Hammer am historischen Hammerklavier (Louis Dulcken und Sohn, um 1820) die Silvana-Variationen sowie das Grand Duo concertant zur Aufführung. Kontrastiert wurden diese Werke mit Franz Danzis Klarinettensonate B-Dur und Heinrich Joseph Baermanns Introduktion und Polonaise op. 25. Kleinere Wortbeiträge von Heike Fricke (zu Baermanns Klarinette), Christoph Hammer (zum Dulcken-Hammerklavier) und Frank Heidlberger (zu Weber und Baermann) vermittelten den interessierten Konzertbesuchern die technischen sowie die musikgeschichtlichen Hintergründe des Programms und stießen auf großes Interesse.

Anschließend führte Silke Berdux durch die von ihr kuratierte Instrumentensammlung des Deutschen Museums, wobei die thematischen Schwerpunkte einerseits auf der Münchner Sammlung von Instrumenten der mit Weber gut bekannten Instrumentenbauerfamilie Kaufmann, andererseits auf der mechanischen und automatisierten Wiedergabe von Werken Webers (auf Musikautomaten bzw. mittels Pianolarollen) lag.

Der außergewöhnlich große Zuspruch, den das Symposium und die beiden Konzerte erfuhren, zeigt, dass der erhöhte organisatorische Aufwand eines solchen, durch themenbezogene wissenschaftliche und musikalische Aktivitäten angereicherten Mitgliedertreffens sich in einer starken und vorteilhaften Präsenz der Weber-Gesellschaft im kulturellen Leben des gewählten Austragungsortes auszahlt. So bleibt nur zu wünschen, dass auch in den kommenden Jahren die Treffen der Gesellschaft immer wieder als Anlass genommen werden, um die aktuellen wissenschaftlichen wie musikpraktischen Ergebnisse der Weber-Forschung in so anregender Weise einem größeren Forum nahezubringen.

Markus Bandur